Musik mit Fäusten und Füßen
Olaf Sandkuhl ballt die Fäuste und haut zu – die schönsten Töne erklingen. Seit 1986 spielt der Musiker das Glockenspiel am Fünfgiebelhaus, mit ganzem Körpereinsatz. Ab 14. August muss er eine Pause einlegen, denn das Instrument wird wieder hergerichtet.
Olaf Sandkuhl sitzt auf der engen Bank in seinem winzigen, gläsernen Kabuff. Hinter ihm: der einstige Gastraum des Grand Café, jetzt eine Baustelle. Vor ihm der Uniplatz. Von seinem Publikum trennt ihn eine Glasscheibe. Das ist für ein Carillon ungewöhnlich. Normalerweise thront der Glockenspieler hoch über seinen Zuhörern, versteckt in einem Turm. »Das haben sich die Rostocker Architekten damals gut überlegt. Die Zuhörer können den Musiker nicht nur hören, sondern auch sehen.«
Keiner kennt das Rostocker Glockenspiel so gut …
… wie Olaf Sandkuhl. Von Anfang an saß der gebürtige Magdeburger hinter der Stokkenklaviatur. Das kam so: In den 80er-Jahren hat er neben seinem Maschinenbaustudium das Glockenspiel auf dem Potsdamer Friedhof gespielt. 1986, die Glockengießerei aus Apolda hatte gerade das Carillon fürs neu gebaute Fünfgiebelhaus in Rostock geliefert, bat man ihn, das nagelneue Instrument einzuweihen.
Carilloneure gibt es nur wenige
Olaf Sandkuhl, klassisch ausgebildet am Klavier und in Komposition, hat das Spiel in seiner Jugend am Konservatorium gelernt. »Mich fasziniert das gewaltige Klangspektrum von Glocken.« Das Carillon ist viel körperlicher als andere Instrumente. Nichts ist hier automatisch, alles Handarbeit. Anstelle von Tasten hat ein Carillon Stokken, das sind Stäbe aus Eichenholz, die der Musiker mit den Fäusten bearbeitet. Die Schläge werden über Seilzüge auf die Klöppel in den Glocken übertragen und bringen sie zum Klingen. Die großen Glocken bespielt Olaf Sandkuhl vor allem über die Pedale mit den Füßen.
Aus dem einmaligen Konzert 1986 wurde ein neues Leben
Seit 26 Jahren wohnt Olaf Sandkuhl an der Ostsee, als Musiker und Musikpädagoge. Bis zur Wende musizierte er täglich am Uniplatz, seit Ende der 90er nur noch samstags. Er kann die 32 Glocken, insgesamt 500 Kilo Bronze, fast im Schlaf spielen. Weihnachts- und Volkslieder, Bach, Filmmusik – sein Repertoire ist unerschöpflich. Notensätze fürs Carillon gibt’s kaum zu kaufen. »Ich habe die meisten Stücke selbst arrangiert.« Hunderte Adaptionen hat er in petto, stellt jeden Samstag ein neues halbstündiges Programm zusammen. Und manchmal wirft er es spontan über den Haufen. »Wenn beispielsweise ein Brautpaar vorbeikommt, spiele ich den »Brautchor« von Richard Wagner.«
In die Jahre gekommen
Am 13. August spielt Olaf Sandkuhl die Glocken vorerst das letzte Mal. Die Gastroeinheiten im WIRO-Haus werden umgebaut und saniert. Auch das Glockenspiel ist in die Jahre gekommen, vor allem der hölzerne Spieltisch ist abgenutzt. Ein Glockenbauer demontiert das Instrument im August und bringt es wieder in Schuss – damit die Glocken bei der Neueröffnung des Restaurants
im nächsten Sommer wieder klingen können.