Blau macht glücklich
Wer wollte nicht schon mal hinter diese Tür gucken: »Blaudruckwerkstatt Haase« steht, einmal über die ganze Breite, auf einem weißen Häuschen neben der Petrikirche.
MV ist nicht die typische Blaudruck-Gegend. Genaugenommen gehört die Werkstatt von Reinhard Haase nicht mal nach Rostock. Die alten Druckstöcke und die Bottiche zum Färben standen früher in Erfurt, bei einer entfernten Verwandten. Als die 1976 in den Westen ging, beschloss das kreative Ehepaar Haase aus Rostock: »Wir übernehmen«. Mit einem Barkas haben sie Stoffballen, Indigofarbe und alles andere von Thüringen in ihr Häuschen neben der Petrikirche geschafft. »Seitdem sind wir die einzigen Blaudrucker in Mecklenburg-Vorpommern.« Während Architekt und Bauleiter Reinhard Haase nur am Wochenende Blaudrucker war, hat Ehefrau Christine in ihrem Atelier unterm Dach viele Stoffballen mit den zarten weißen Mustern veredelt. Ihre leuchtend blauen Tischdecken, Schals, Kissenbezüge und Blusen lagen zu DDR-Zeiten in den Auslagen der Kunstgewerbeläden. Die Haase’schen Blaudrucke erkennt man an ihrem Markenzeichen, das immer in irgendeiner Ecke versteckt ist: zwei kleine Hasen, die sich an den Händen halten. »Die stehen für meine Frau und mich.«
Blaudruck ist eine Kunst für sich
Das beginnt schon bei den Modeln, das sind handgefertigte Druckstempel aus Holz mit filigranen Mustern. Reinhard Haase hat eine unerschöpfliche Sammlung mit Bordüren, Ranken, Ornamenten, Blüten und seinem liebsten Motiv: Pusteblumen. Viele Model hat er selbst entworfen. Andere, bis zu 200 Jahre alt, hat er mit der Werkstatt übernommen. Vor 400 Jahren kam der Blaudruck von Indien nach Europa. Die Rezepturen sind bis heute dieselben und auch sonst hat sich an dem Reservedruckverfahren wenig geändert. Vor dem Färben werden die Stempel in Papp getaucht - eine wachsartige Paste aus Gummibaumsaft, Töpferton, Grünspan, Bleisalz – und anschließend feste auf den Stoff gedrückt. So geht es Stück für Stück. Bis eine große Tischdecke fertig bedruckt ist, vergehen locker ein paar Stunden. Ist der Papp getrocknet, kommt der Stoff ins indigoblaue Farbbad. Der Kniff: Die Stellen mit Papp nehmen die Farbe nicht an. Wenn die Drucker den Stoff aus dem Bottich ziehen, leuchtet er übrigens grün. Erst an der Luft oxidiert die Farbe innerhalb von wenigen Minuten zu blau. »Das blaue Wunder«, heißt es unter Blaudruckern. Am Ende werden die Papp-Reste mit einer Schwefelsäure-Lösung entfernt – übrig bleiben die weißen Muster. Die Kübel zum Färben stehen zwar in Reinhard Haases Keller, wurden aber lange nicht mehr befüllt. »Wir hatten die Prozedur zuletzt ausgelagert.« Eine Werkstatt in Österreich färbte die bedruckten Stoffe aus Rostock. Der Blaudruck ist langwierig und mühevoll. Das hat seinen Preis. Längst kann man Stoffe in Blaudruckoptik billig kaufen – produziert von Maschinen in Fernost. Aber das ist kein Vergleich, sagt Meister Haase. Der Charme des echten Blaudrucks mit den kleinen Unregelmäßigkeiten und Imperfektionen fehlt.
Besucher willkommen
Mittlerweile ist Reinhard Haase verwitwet und eigentlich schon lange in Rente. Trotzdem ist die alte Werkstatt im Haus nach wie vor sein Lebensmittelpunkt. Dort ist er umgeben von den einst selbst bedruckten Stoffen. »Die blaue Farbe macht glücklich und hält mich jung«, erklärt er und seine wachen Augen leuchten hinter den runden Brillengläsern. Hier malt er Acrylbilder und schreibt Kurzgedichte. Und er freut sich über Besucher. Auch wenn die blaue Fahne nicht mehr so oft vor der Tür weht, sind Neugierige willkommen. Der Werkstattmeister erklärt mit Freude, zeigt Stoffe und Materialien. Er ist guter Dinge, dass sein Blaudruck in Rostock eine Zukunft hat. Seine Enkeltochter hat schon Interesse angemeldet, die Werkstatt einmal zu übernehmen.