Thierfelderstraße: Kein Schema F

Das Luftbild zeigt die neuen Wohnhäuser in der Thierfelderstraße und in der Kobertstraße.
So sieht das moderne Quartier aus der Luft aus.

Zwischen Thierfelder- und Kobertstraße baut die WIRO 148 Wohnungen. Die moderne Architektur kommt bei Mietern und Rostockern gut an. Was auf den ersten Blick nicht zu sehen ist, erklärt Architekt Michael Frischauf.

Nachhaltiges Bauen ist ein Thema der Stunde, überall liest man davon. Was bedeutet das eigentlich?

»Es geht darum, schon bei der Planung in die Zukunft zu schauen. Wie werden die nächsten Genera[1]tionen leben? Wie verändern sich Umwelt und Klima? Gerade beim Neubau in Städten stehen wir vor Herausforderungen. Über Jahrzehnte wurde nur gebaut und verdichtet, das kann so nicht mehr funktionieren.«


Geben Sie uns bitte ein Beispiel!

»Wir erleben zunehmend heiße Trockenphasen auf der einen und Starkregenereignisse auf der anderen Seite. Die Kanalisation der Städte ist für heftige Regenfälle nicht ausgelegt. Weil so viele Flächen versiegelt sind, kann das Wasser auch nicht im Boden versickern. Darum ist Regenwassermanagement bei Neubauten ein großes Thema. Unser Experte für Entwässerungsplanung hat für die Thierfelderstraße ein ganzheitliches Kreislaufsystem entwickelt. Das beginnt bei den Zisternen, die kann man sich wie unterirdische Regentonnen vorstellen.  Niederschlag wird über Regenrohre von den Dächern in die Tanks geleitet, gesammelt – und später zum Gießen und Bewässern genutzt. Wir gehen davon aus, dass der Wasserbedarf der Außenanlagen mit den Zisternen gedeckt werden kann. Wenn es so stark regnet, dass die Zisternen nicht ausreichen, kann das überschüssige Wasser in Schotterrigolen versickern. Dies sind eineinhalb Meter mächtige Pufferspeicher, die mit grobem Kies gefüllt sind.«

Schaubild erklärt die Funktion von Rigolen
So funktioniert's: Das Regenwasser versickert nach und nach.

Das hört sich gut an. Und damit sind die Probleme gelöst?

»Nicht ganz. Die sieben Gebäude wurden außerdem um bis zu 40 Zentimeter angehoben – so entsteht ein Gefälle, damit das Wasser bei Starkregen vom Haus wegfließt und keinen Schaden anrichtet. In den Grünan[1]lagen wurden Sickermulden angelegt, in Wasser sammeln und nach und nach versickern kann. Niederschlagswasser ist eine wertvolle Ressource, die gratis zur Verfügung steht. Wir nehmen es – wie bei einem Badeschwamm – an Ort und Stelle auf, speichern es temporär, bis es gebraucht wird. Wir lassen eine »Schwammstadt« entstehen. Solche Konzepte helfen Städten, sich an den Klimawandel anzupassen.«

Das neue Quartier ist nicht nur wegen der Nähe zum Barnstorfer Wald besonders grün.

»Das beginnt beim Erhalt der alten Bäume auf der Fläche. Bei der Bebauung wurde reichlich Platz für die Wurzeln gelassen, angepflanzte Bodendecker sollen das Wurzelwerk künftig vor Sonne und Austrocknung schützen. Zwischen den Häusern sät die WIRO nicht einfach Rasen aus, sondern legt einen großen, bunten Garten an mit heimischen Stauden, Gehölzen, Gräsern. Wir schauen genau: Wo ist Schatten, wo Sonne? Was wächst da gut und was passt zueinander? Das ganze Jahr über soll etwas blühen, damit unterschiedliche Insekten und Tiere Nahrung finden. Damit leistet die WIRO einen guten Beitrag zur Biodiversität.

Auch die Häuser sind Teil des Grünkonzepts. An Seileinrichtungen sollen sich bald 800 Quadratmeter Fassadengrün ranken. Die Bewohner profitieren von dem Wetterschutz und einem angenehmen Mikroklima. Die Dächer sind zu 85 Prozent begrünt – trotzdem haben wir aufgeständerte Fotovoltaikanlagen auf den Häusern.«

 

Welchen Effekt haben die Pflanzen auf das Klima vor Ort?

»Stadtgrün heizt sich im Sommer nicht so stark auf wie Beton und spendet Schatten. Darum haben wir die Spielflächen für Kinder in der Nähe der großen Bäume angelegt. Der Verdunstungseffekt der Pflanzen hat einen kühlenden Effekt auf die Umgebung. Die Lufttemperatur sinkt um bis zu fünf Grad.« 

Porträtbild von Architekt Michael Frischauf
Architekt Michael Frischauf vom vom Wiener Planungsbüro Albert Wimmer ZT GmbH,
Generalplaner des WIRO-Quartiers.

Bitte erklären Sie uns noch, wie die Wohnungen energetisch versorgt werden.

»Das Quartier kann sich weitgehend selbst versorgen. 80 Tiefensonden fördern Erdwärme für alle Wohnungen. Der Strom für die Wärmepumpen stammt von den Fotovoltaikanlagen. Nur fürs Warmwasser und in Spitzenzeiten wird Fernwärme dazugeholt. Der Verbrauch der Gebäude ist niedrig, denn sie sind klimadicht »eingepackt«. Wir haben fast 50 Zentimeter dicke Ziegelwände mit Luftkammern. Sie speichern die Wärme und sorgen gleichzeitig für ein angenehmes Klima. Weiterer Vorteil: Die mineralische Dämmung ist integriert, es wurde keine Dämmung aus Styropor davorgesetzt. Grundsätzlich haben wir uns bemüht, möglichst sortenreine Materialien zu verwenden, die am Ende in den Kreislauf zurückgeführt werden können.«

Seit der Planung sind ein paar Jahre vergangen. Würden Sie das Quartier heute genauso planen?

»Die Thierfelderstraße ist ein Vorzeigeprojekt für nachhaltige Architektur. Der Weg dahin war mühsam. Es gibt kein Schema F, man muss auf die speziellen Gegebenheiten Rücksicht nehmen. Es ist nicht selbstverständlich, dass unser Auftraggeber diesen Weg konsequent mitgeht. Wir sind froh, denn mit der WIRO haben wir den richtigen Partner an unserer Seite.«