Fast allein im Wald
Jörg Harmuth empfiehlt einen Spaziergang durch die winterliche Heide. »Man ist fast allein, kann die Ruhe genießen und durchatmen.« Wer sich leise verhält und die Augen offenhält, kann mit etwas Glück Rehe und Wildschweine beobachten, im Hüttelmoor Kraniche und Rotwild.
An diesem Morgen ist jedoch nix mit Winterwald-Romantik in der Rostocker Heide. Das Thermometer zeigt 6 Grad. Es stürmt und regnet Bindfäden. Jörg Harmuth steigt trotzdem aus seinem Geländewagen. Er öffnet die Klappe zum Kofferraum, Caps von Speyerbach hüpft aus dem Auto und schüttelt sich. Der Jagddackel macht sich – wie sein Herrchen – nicht viel aus schlechtem Wetter. Der Forstamtsleiter hat neben dem Strand von Torfbrücke geparkt. Er will nachsehen, ob der Wintersturm, der seit zwei Tagen wütet, Schaden angerichtet hat. Tatsächlich muss er nur um die nächste Biegung gehen: Eine umgestürzte Birke liegt quer über dem Küstenwanderweg. Die Wurzel schwebt über der frischen Abbruchkante. Seit es vor diesem Strandabschnitt keine Buhnen mehr gibt, erklärt Harmuth, holt sich die Ostsee jedes Jahr ein paar Meter Küste. »Man kann fast dabei zusehen.«
Jörg Harmuth kennt die Rostocker Heide wie seine Westentasche
Seit 1989 ist er hier Förster, 1992 übernahm er die Leitung des Forstamtes. Während er und seine vier Revierförster im Sommer viel Zeit darauf verwenden müssen, Waldbesucher im Blick zu behalten – die illegal campen, Lagerfeuer entzünden oder den Wald mit einem Quad befahren – ist es nun erfreulich ruhig. Es ist die Zeit, in der Förster auch mal hinterm Schreibtisch sitzen müssen. »Es gibt immer mehr Vorschriften und ständig neue Verordnungen.« Jörg Harmuth ist darüber nicht fröhlich. »Ich wünschte, man würde uns Förster mehr eigenverantwortlich machen lassen, schließlich kennen wir unseren Wald und wissen, was gut für ihn ist.«
Hotspot der biologischen Vielfalt
Die Rostocker Heide gehört mit 6.000 Hektar zu den größten kommunalen Wäldern in Deutschland. Zwei Drittel sind europäisches FFH-Schutzgebiet. Außerdem ist der Stadtwald einer von bundesweit 30 ausgewiesenen Hotspots der biologischen Vielfalt. »Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis konsequenter Bewirtschaftung.« Neben dem Papierkram ist auch im Winterwald gut zu tun. Es ist Hochsaison fürs Fällen – von toten und umsturzgefährdeten Bäumen, kranken, aber auch von gesunden Bäumen. Ein Beispiel: Eine alte Eiche braucht mehr Licht. Dann müssen die Kiefern weichen, die sie bedrängen. »Das können einige Menschen nicht nachvollziehen, sie wollen vehement jeden Baum erhalten.« Dabei ist genau das nachhaltige Waldbewirtschaftung: Gewachsenes Holz wird entnommen und in langlebigen Holzprodukten verarbeitet. Dafür werden junge Bäume nachgepflanzt. Das ist auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Ein Wald darf nicht nur Geld kosten, er muss auch etwas einbringen, sagt Harmuth. Die geschlagenen Stämme werden an holzverarbeitende Betriebe verkauft. Auch Privatpersonen mit einem Motorsägeschein können sich registrieren und Kaminholz aus dem Wald holen. Die Nachfrage ist groß, Interessenten müssen sich gedulden.
Klimawandel hat die Ostseeküste erreicht
Etwa 30.000 Bäumchen wurden im vergangenen Jahr aufgeforstet: Eichen, Kiefern, Ahorn, aber auch Exoten wie Esskastanien, Tulpenbäume, Douglasien. Der Klimawandel hat die Ostseeküste erreicht. Die heißen, trockenen Sommer schwächen die Bäume, Borkenkäfer haben leichtes Spiel. »Wir pflanzen zunehmend Baumarten, die eigentlich in südlicheren Gefilden wachsen und die mit den klimatischen Veränderungen umgehen können.« Zum Glück hat es die Heide lange nicht so schlimm getroffen wie beispielsweise den Harz, wo bereits große Waldflächen abgestorben sind. »Das Küstenklima schützt uns.« Derzeit streifen zwar wenige Spaziergänger durch den Wald – einige sorgen trotzdem für Ärger. Hundehalter, die ihr Tier ohne Leine durch den Wald jagen lassen, sind so ein Thema. »Sie scheuchen das Wild auf.« Rehe und Hasen sind jetzt in der Winterruhe, sie fahren ihren Stoffwechsel zurück, gehen in eine Art Energiesparmodus. Die Flucht vor einem hetzenden Hund verbraucht zu viel Energie, kann zum Tod führen. Ganz nebenbei droht freilaufenden Hunden im Wald Gefahr: Ab Februar bekommen die Wildsauen Frischlinge – da ist mit ihnen nicht gut Kirschen essen. Und: Die ersten Wölfe haben sich im Stadtwald niedergelassen. Kein Grund zur Panik, sagt der oberste Stadtförster, aber: »Ein gesunder Respekt ist angebracht, Wölfe sind schließlich Raubtiere.«