Ab jetzt: Denkmal
Jeder Rostocker kennt das Terrassenhochhaus der WIRO in der Bertolt-Brecht-Straße in Evershagen. Es prägt den Stadtteil seit 1977 – und steht jetzt unter Denkmalschutz.
Was der Rostocker Chefarchitekt Peter Baumbach im Jahr 1969 auf der Ostseemesse präsentiert, sorgt für ungläubiges Staunen. So was gab es noch nie: Eine Wohnscheibe für fast 4.000 Bewohner, mit begrünten Dachgärten zur Erholung, Kindergarten und Waschsalons, Restaurants, Gesundheitsstützpunkt, Sauna und Bibliothek.
Ein großer Wurf
Ein Haus wie eine kleine Stadt hat er für den neuen Stadtteil Evershagen entworfen. Mit allem, was den Bewohnern das Leben erleichtern könnte. Ein großer Wurf. »Das war damals auf der Höhe der Zeit der internationalen Architektur«, sagt Rostocks Denkmalpfleger Peter Writschan. Die klassische Zeilenbebauung war out, Großwohneinheiten waren gefragt. Es war die Zeit der Utopien im Städtebau. Die neue Honecker-Regierung machte Anfang der 70er-Jahre einen Strich durch die Rostocker Pläne. Dachterrasse und Sauna waren passé, es wurde abgespeckt. Trotzdem: Was die Architekten aus den Möglichkeiten der WBS 70 herausgeholt haben, schmückt den Stadtteil bis heute. Die treppenförmigen Terrassen an der Südseite geben der kolossalen Platte ein unverwechselbares Gesicht. Auch besonders: die Fassade aus Waschbeton im Wechsel mit Spaltklinkern.
Ein Denkmal muss nicht alt oder schön sein
Die moderne Interpretation der Backsteingotik wurde typisch für Rostock, erklärt Peter Writschan. Der Denkmalpfleger ist froh, dass sich die WIRO in den 90er-Jahren für die aufwändige Fugensanierung entschieden und keine Dämmung vor die originale Fassade gesetzt hat – so wie aus Kostengründen bei vielen anderen Häusern. Das ist ab jetzt sowieso tabu: Beides, die Terrassen und die Fassade der Hausnummern 8 bis 10, gelten als Einzeldenkmal und ihr äußeres Erscheinungsbild muss erhalten bleiben.
Ein Plattenbau, gerade 42 Jahre alt, unter Denkmalschutz? Gilt der nicht nur für jahrhundertealte Gemäuer? »Ein Denkmal muss nicht alt oder schön sein«, erklärt Peter Writschan. Überall in Deutschland befassen sich Universitäten und Denkmalpfleger aktuell mit der Nachkriegsmoderne. »Da stellte sich bei uns die Frage: Was ragt in Rostock heraus? Was ist würdig, ein Denkmal zu sein?«
Wohnscheibe stand Modell
Die Wahl fiel auf die Wohnscheibe in der Bertolt-Brecht-Straße – Landesamt, Stadt und Historiker aus ganz Deutschland waren sich einig. Der Block war die erste Großwohneinheit in Rostock und stand Modell für weitere in Schmarl, der Südstadt, Lichtenhagen und Groß Klein. Übrigens ist das Terrassenhaus nicht das einzige Denkmal in Evershagen: Vier Klinkergiebel aus den Jahren 1974 bis 1976 – gestaltet von Künstler Reinhard Dietrich, sie zeigen die klassischen Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft – wurden schon zwei Jahre nach Fertigstellung von den DDR-Behörden unter Schutz gestellt.
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