Altes Gemüse

Agraringenieurin Stefanie Busch
Agraringenieurin Stefanie Busch. Fotos: DOMUSIMAGES

Saatgut gibt`s im Baumarkt, wo sonst? Auch Stefanie Busch hat Bohnen- und Tomatensamen bis vor ein paar Jahren im Laden gekauft. Bis sie eine kritische Doku zum Thema Saatgut gesehen hat. Seitdem hat sich die Agraringenieurin der Rettung von alten, heimischen Sorten verschrieben. Höchste Zeit, denn viele sind schon verschwunden.

Stefanie Busch packt Schraubgläser aus ihrem Rucksack. In jedem klappern trockene Bohnen in einer anderen Farbe. Die weiße Stangenbohne Monstranz, die schwarze Buschbohne La Victoire oder die hellgrüne Kröger´sche Stangenbohne. Die will die Agraringenieurin heute in die Erde bringen. Neben der Nobelstraße in der Südstadt legt sie mit ihren Mitstreitern einen Schau- und Lehrgarten an. Sie nennt es »Saatgutlabor«.

Auf den ersten Beeten können Besucher bereits heute heimische Gemüsepflanzen wachsen sehen. Dass manche Exemplare ein betrübliches Bild abgeben, verholzt oder längst ins Kraut geschossen sind, soll so sein. »Wir wollen zeigen, wie man selbst Samen gewinnen kann.« Bei Erbsen, Bohnen und Tomaten ist das einfach: Das Saatgut wächst im Gemüse. Bei Möhre oder Kohl wird´s schon kniffliger. Das reife Gemüse hat Stefanie Busch im vergangenen Herbst ausgebuddelt, die schönsten Exemplare ausgewählt und über den Winter eingelagert. Im Frühjahr hat sie sie wieder eingepflanzt. »Sie blühen erst im zweiten Jahr.« Rostocker, die es genau wissen wollen, lädt Stefanie Busch an jedem ersten Mittwoch im Monat zu einem Saatgutseminar in die Nobelstraße ein. Da lernen die Hobbygärtner beispielsweise, warum man manche Gemüsesorten abdecken muss, damit sie sich nicht mit Nachbars Pflanzen verkreuzen und welche Pflanzen sie mit einem Pinsel von Hand bestäubt. Fünf Seminare zu unterschiedlichen Themen sind bis Oktober geplant. Seit zwei Jahren hütet die Rostockerin mit ihrem kleinen, dreiköpfigen Kollektiv – »saatje« wird getragen vom gemeinnützigen Verein Fruchtwechsel e.V. – auf 800 Quadratmetern in Wilsen neue und alte Gemüsesorten. Ein mühsames Unterfangen und auch ein Wettlauf gegen die Zeit: Mit jedem Jahr gehen mehr Sorten verloren, weil keiner sie mehr anbaut. Erst kürzlich hat Stefanie Busch von einer älteren Dame aus Bad Doberan armenische Stangenbohnen ergattert. Die ersten Samen hat vor Jahrzehnten ihr Mann mitgebracht, seitdem wächst die Bohne im Garten der Familie. »Früher hätte man seine Haussamen an die Nachbarn weitergegeben und sich ausgetauscht, auf diese Art wurden vielfältige Sorten über Jahrhunderte erhalten.«

Saatgut Domusimages  1

Dass Menschen heute lieber zum Samentütchen greifen, ist auf den ersten Blick verständlich. Die Früchte wachsen groß, saftig und sehen aus wie gemalt. Aber: Sät man die Samen daraus im nächsten Jahr neu aus, ist die Perfektion passé. Die sogenannten Hybridsamen sind nur für eine Generation gedacht, so müssen Gärtner jedes Jahr neue kaufen. Bei den samenfesten Sorten ist das anders. Seit Jahrtausenden gewinnen die Menschen ihr Saatgut selbst: Sie lassen Pflanzen ausblühen, sammeln die Samen, säen sie wieder aus – und ernten Früchte mit denselben Eigenschaften wie die Mutterpflanze. Althergebrachte Sorten passen sich Jahr für Jahr an veränderte Verhältnisse, trockene Perioden, steigende Temperaturen, neue Schädlingsarten an. Sie sind robust, brauchen keine Chemie und haben dazu meist eine lange Ernteperiode. »Mit dem Klimawandel vor Augen brauchen wir eine große Vielfalt an lokalen Sorten, das sichert auch unsere Lebensgrundlage.« Weil viele Menschen den Unterschied zwischen samenfestem und Hybrid-Saatgut nicht kennen, und darum zum praktischen Industriesamen greifen, sind die meisten Landsorten verschwunden. Unwiderbringlich. »Von den Gemüsesorten, die es vor 120 Jahren in unseren Gärten gab, existieren gerade noch zehn Prozent.« Viele alte Gemüse-, Kräuter- und Blumensorten hat Stefanie Busch in den vergangenen Jahren zusammengetragen: Uromas Kochspinat aus Kritzmow, Lauchhellerkraut, Knollenziest, mehrere Bohnensorten. Alle baut sie an und vermehrt sie sortenrein in ihrer Saatgut-Gärtnerei in Wilsen. 

Saatgut Domusimages  2

Saatgut gehört in viele Hände
Stefanie Busch versteht »saatje« als solidarisches Projekt für die Gemeinschaft. »Unser Motto lautet: Saatgut gehört in viele Hände.« Nichtsdestotrotz müssen die Kosten gedeckt, ebenso der Lebensunterhalt von Stefanie Busch und zwei FÖJ-Stellen bestritten werden. 25 Menschen unterstützen das Projekt bereits mit monatlichen Beiträgen zwischen 3 und 200 Euro. Auch der Verkauf von Samen aus eigener Herstellung soll die Kasse füllen. Weil das kleine Kollektiv an seine Grenzen kommt, sucht Stefanie Busch Mitstreiter: Freiwillige Gärtner für den Lehrgarten in der Südstadt und Menschen, die in ihrem eigenen Garten die Patenschaft für einzelne Sorten übernehmen. »Ich möchte Erhaltungsringe aufbauen.« Wenn nur einer allein eine Sorte vermehrt, kommt es über kurz oder lang zu Inzucht-Problemen. In einem Erhaltungsring kümmern sich Mehrere um eine aussterbende Sorte. Jeder gewinnt in seinem Garten Saatgut – regelmäßig wird untereinander getauscht und geteilt. Und sie sucht Saatgut-Detektive, die in Gartenanlagen und im Ländlichen auf die Pirsch nach alten Landsorten gehen. Das Projekt wird aus Erträgen der BINGO-Lotterie über die NUE-Stiftung finanziert.

www.saatje.de (Information, Unterstützung, Samenverkauf & Händleradressen) Kontakt: post@saatje.de I 0176 20512764

Lehrfilme zur Samengärtnerei für viele Sorten unter www.diyseeds.org/de